26. Apr 2023
Marcus und Nicole Blonkowksi vom Restaurant Genuss-Atelier in Dresden erhielten 2019 einen Michelin-Stern. Dabei wollten sie eigentlich nur eins: Den Dresdnern Genuss bringen. Welche Philosophie das ungleiche Geschwisterpaar verfolgt.
Von Juliane Just
Das eine Häppchen könnte mit viel Fantasie eine Blüte sein. Acht Blütenblätter, in der Mitte und zum Ende hin tiefgrün, mit kleinen orangen Blättern verziert. Daneben hebt sich von einem Bulgur-Sockel eine kleine Stadt aus Radieschen und Kräutern empor. Es ist eine Vorspeise der künstlerischen Art. So werden sie im Sterne-Restaurant Genuss-Atelier seit neun Jahren kreiert, seit fünf Jahren sogar mit Auszeichnung.
Der renommierte Michelin-Guide hat das Lokal an der Bautzner Straße 149 in Höhe der Waldschlößchenbrücke im Jahr 2019 mit einem Stern versehen und attestiert dem Restaurant damit eine Küche voller Finesse, Produkte von ausgesuchter Qualität und ausgeprägte Aromen. Mit Präzision und Hingabe entstehen inmitten des sandsteinfarbenen Mauerwerks die Menüs. Die kleinen Kunstwerke werden mit Pinzetten verziert, damit jedes Detail an genau der richtigen Stelle ist.
Doch was ist das Geheimrezept des Sterne-Restaurants? "Wir bleiben bei uns." So lautet die schlichte Erklärung von Marcus Blonkowski, der das Restaurant mit seiner Schwester Nicole leitet und von dem die vielfältigen Kreationen auf den Tellern der Gäste stammen. "Schmecken muss es. Qualität und Preis sind ausschlaggebend", sagt der Mann, der mit über zwei Metern Körpergröße eine gewisse Präsenz hat. Die Geschwister sind recht verschieden und haben sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert. Während Marcus Blonkowski als Chef die Küche beherrscht und hinter allen Menüs steht, regiert seine Schwester Nicole den Tresen und den Gastraum. Sie hat eine offene, herzliche Art, wie es vielen Gastronomen scheinbar in die Wiege gelegt ist - obwohl dem nicht so ist.
Bevor die beiden mit der gehobeneren Küche in Berührung kamen, brauchte es einige Stationen auf ihren beruflichen Wegen, die erst einmal voneinander weggingen und doch immer wieder verschlungen waren. Die Geschwister stammen gebürtig aus der Kleinstadt Großröhrsdorf im Landkreis Bautzen. Beide begannen eine Ausbildung im Bereich Gastronomie. Er wurde 2005 Koch, sie 2008 Hotelfachfrau. Es folgten Stationen am Schlosshotel am Wörthersee im österreichischen Kärnten, im Astoria-Resort in Tirol, zur Wintersaison in der Partyhochburg Ischgl. In Wien kommt Marcus Blonkowksi 2012 erstmals mit der gehobeneren Küche in Kontakt und findet Gefallen an dieser Art zu kochen. Seine Schwester begegnet der Sterne-Gastronomie erstmals im Caroussel im Bülow-Palais in Dresden, die zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet war. Im Saarland kamen sie gemeinsam mit dem renommierten Koch Christian Bau zusammen, arbeiteten im Victors Fine Dining. Die Reisejahre gehören bei Gastronomen oft dazu; ja viele erinnern sich sogar gern an diese Zeit, in der noch keine Anker gesetzt wurden. Doch der Wunsch nach etwas eigenem wurde größer. "Ich wollte gern in Richtung Heimat zurück. Es sollte aber eine Stadt sein, die Potenzial in der Spitzengastronomie hat", erinnert sich Nicole Blonkowski. In Dresden war gehobenere Küche zu diesem Zeitpunkt - und teilweise noch heute - noch ein Nischenprodukt.
In ihren frühen 20ern gingen sie das Projekt an - "noch recht grün hinter den Ohren". Im Frühjahr 2014 suchten sie nach Objekten. Es wurde der ehemalige "Weltenbummler" in der Radeberger Vorstadt, der ab November unter dem Namen "Genuss-Atelier" neu startete. "Dafür, dass uns niemand kannte, hatten wir einen guten Start", denkt Nicole Blonkowski an die Anfänge zurück.
Sie mussten beide hineinwachsen in ihre Rollen und ihr Projekt. "Wir kannten uns als Geschwister zwar persönlich, aber eben nicht beruflich." Unstimmigkeiten gebe es immer mal wieder, bis heute. "Aber wir lösen sie jetzt anders", sagt sie und schaut ihren Bruder mit diesem verschmitzten Lächeln an, das nur Geschwister untereinander kennen. Dass sie die Corona-Pandemie - "das waren beschissene Jahre" - gemeinsam überstanden haben, schweißt noch mehr zusammen. Die Idee war es von Anfang an, die Gäste an die Menü-Variante heranzuführen und das Vorurteil zu brechen, dass man von den kleinen Portionen nicht satt wird. Bis heute können Gäste zu Beginn des kulinarischen Abends sagen, welche Zutaten oder Produkte sie nicht essen oder vertragen. Marcus Blonkowski stellt ihnen dann aus den Gerichten auf der Speisekarte ein individuelles Menü zusammen. Das kann zwischen vier und acht Gänge haben und enthält nach Wahl auch einen passenden Wein.
Anfangs fanden dank Google und der Touristik-Plattform Tripadvisor viele Touristen in das Genuss-Atelier, während die Dresdner vorerst ein wenig skeptisch blieben. Einen Michelin-Stern zu ergattern, hatten die Blonkowskis da noch gar nicht auf dem Schirm. "Wir wollen Sternegastronomie zu einem bezahlbaren Preis anbieten", so der Küchenchef. Als sie den ersten Stern 2019 zum ersten Mal verliehen bekamen, war die Aufregung groß, denn er begann mit einem geplatzten Barcelona-Urlaub. Eigentlich wollten die beiden ihren 30. Geburtstag in der spanischen Metropole feiern. Doch dann durchkreuzte der Anruf vom Michelin-Tester die Pläne. Ganz plötzlich sollten die Geschwister zur Verleihung nach Berlin kommen. Seither gehört diese jährlich zum Pflichtprogramm - wenn auch nur auf dem heimischen TV. Dass sie den Michelin-Stern seit fünf Jahren halten, ist "harte Arbeit und kein Ponyhof", wie Marcus Blonkowksi prägnant formuliert. Wie alle anderen müssen auch die Geschwister auf die Preise schauen. "Hummer oder Languste würde ich zu gern verarbeiten, aber die Mehrheit der Gäste würde das nicht bezahlen", ist sich Marcus Blonkowski sicher. Es sei ein sehr schwerer Spagat, das richtige Maß an Verteuerungen zu finden, ohne die Gäste zu verschrecken. Was ist der Gast noch bereit zu zahlen? Die beiden bemerken in letzter Zeit, dass die Gäste verhaltener speisen. Viele wählen drei Gänge, früher waren es oft mehr.
Dass beide dafür ständig Überstunden machen und immer ein bisschen über der Zeit arbeiten, sieht der Gast nur selten. Vormittags geht es in der Küche los, später wird das Restaurant hergerichtet, dann werden alle 40 Gäste im Reihum bedient, danach wird noch saubergemacht. Und der Letzte, meist einer der Geschwister, macht dann eben das Licht aus. "Dafür hat man sich entschieden", sagt Nicole Blonkowski.